Über dem Ortsteil Saasen der Gemeinde Neuenstein erhebt sich auf einem steilen Kalksteinfelsen ca. 350 m über NN das Schloss Neuenstein. Das 1267 erstmals urkundlich erwähnte Schloss wurde um die Mitte des 13. Jahrhunderts durch den Grafen Albert I. von Wallenstein als Neuwallenstein erbaut. 1318 wurde das Schloss belagert und zerstört.
Die Schlossanlage blieb bis 1357 in Trümmern liegen und wurde ab 1357 durch Simon von Wallenstein wieder erbaut und durch den hessischen Landgrafen Otto d. Schützen (1366) erobert. Der Grundriss des Kernschlosses bildet ein regelmäßiges Viereck, das von dem 28 m hohen Turm, dem sog. Bergfried beherrscht wird. Die Lehns- und Besitzverhältnisse des Schlosses Neuenstein waren wechselvoll. Mit dem Tod des letzten Wallensteiners, des Geheimen Regierungsrates August Gottfried Freiherr von Wallenstein, fiel das Schloss 1745 endgültig an die Hessen.
Von 1760 bis 1870 war das Schloss Sitz des Domänenrentmeisters und von 1870 bis 1945 preußisches Forstamt. Von 1948 war es bis zu dessen Auflösung 1996, bedingt durch das neue Hessische Forststrukturgesetz, Dienstsitz des hessischen Forstamtes Neuenstein. Im Jahr 2000 wurde es von der Gemeinde Neuenstein, dessen Wahrzeichen es ist, erworben und von Juli 2002 bis August 2003 zu einem Tagungs- und Veranstaltungszentrum ausgebaut.
Ein hochadliges Fräulein, dessen Eltern frühzeitig gestorben waren, fand
gastliche Aufnahme auf der Burg Neuenstein. Der Graf von Wallenstein, ihr
Onkel, war gefürchtet wegen seiner Strenge in Bezug auf Standesehre und
Sitte. Achtzehn Übeltäter, darunter auch Ritter, welche sich an Mädchen
und Frauen vergangen hatten, ließ er kurzerhand aufhängen.
Das junge Edelfräulein, eine Waise, so hatte er es sich gedacht, sollte einen
befreundeten Grafen heiraten. Thea aber war einem Forstläufer des
Burgherrn zugetan. Er hieß Heinz und war ein stattlicher Bursche. Heimlich
trafen sich die Liebenden.
Ein Ritter, welcher auf Burg Neuenstein längere Zeit dort weilte, warb um
Thea. Das Edelfräulein aber lehnte ihn ab. Mit Recht vermutete der Ritter,
dass Thea einen anderen bevorzugte. Fernab der Burg an der Quelle des
Armesbaches am Berghang war das Stelldichein von Thea und Heinz. Der
Ritter entdeckte auf einem Pirschgang das Liebespaar. Er hatte nichts
Eiligeres zu tun seinem Freund, dem Burgherren diese Neuigkeit zu
berichten. Der Graf tobte und befahl Fräulein und Dienstmann zum
peinlichen Verhör zu laden. Thea und Heinz wussten um die Strenge des
Grafen.
Für den nächsten Tag hatte sich hoher Besuch aus Cassel angesagt. Der Graf
sagte: „Justiment, das passt! Diese Kammerherren und Federfuchser können
dem Verhör beiwohnen. Sie können dem Landgrafen berichten, welche
Ordnung und Sittenstrenge hier üblich sind.“ Dass der Landgraf zur
Überraschung seiner Kammerherren diesen Besuch auf Burg Neuenstein
anordnete, hatte seinen Grund:
Als er als 20-jähriger auf Einladung des Altwallensteiner Grafen in dessen
Jagdbereich zur Jagd ging, kam er an die Quelle des Armesbaches. Unweit
der Quelle setzte er sich ermattet nieder. Er schlief ein. Als er erwachte sah
er ein Mädchen beim Heidelbeerpflücken. Das Mädchen, fast im gleichen
Alter, wollte sich entfernen. Der junge Fürst bat sie zu bleiben und sagte, sie
brauche sich nicht zu fürchten. Das Mädchen antwortete, es sei nicht
schicklich so Mutterseelen allein bei einem vornehmen Herrn zu sitzen. Es
war mehr als seltsam. Eine tiefe Zuneigung zu dem sehr schönen Wesen
erfasste den Fürstensohn. Er fragte sie, ob sie einen Liebsten habe. Sie
verneinte und meinte, sie sei armer Leute Kind und werde in Bälde von zu
Hause fortgehen und zu ihrem Onkel in ein Dorf im Schmalkaldischen
ziehen. Auf die Frage des Mädchens wer er sei, antwortete er, er sei ein
Falkner bei einer hohen Herrschaft. Das Mädchen bot ihm vollreife
Heidelbeeren an. Ernestine Lüder, so hieß das Mädchen, lachte den Falkner
aus, als er versuchte, seine von Heidelbeeren verfärbten Mund zu säubern.
Er sagte: „Bitte küss mich, damit meine Lippen rein werden!“. Nach kurzem
Zögern küssten sich beide. Das war der Anfang eines durch Fügung über
Beide gekommenen leidenschaftlichen Liebesabenteuers, welches Folgen
hatte. Zum Abschied schenkte der Falkner dem Mädchen ein hauchdünnes
Halskettchen. An der Kette war ein kleines Herz. Der junge Fürst, welcher
sich als Falkner ausgegeben hatte, sagte: „Dieses Kettlein, welches meine
Mutter einst getragen, wird dich an mich erinnern und von Segen sein.“
Ernestine sagte: „Nimm hier diese Semmel!“ Sie küsste ihren Falkner zum
Abschied und eilte nun schnell nach Hause.
Ein Eilbote zwang den Fürsten schon am nächsten Morgen zur Rückkehr
nach Cassel. Er konnte keine Verbindung zu Ernestine aufnehmen. Seine
Ausbildung und Übernahme der Staatsgeschäfte hinderten ihn Ernestine
irgendwie zu sehen. Er heiratete eine Fürstentochter aus dem
Braunschweiger Land und lebte in glücklicher Ehe. Ernestine aber hatte er
nicht vergessen. Geheime Nachforschungen nach ihr blieben erfolglos.
Nach mehr als 30 Jahren, als er im Schmalkaldischen weilte, erfuhr er, dass
Ernestine schon seit zehn Jahren verstorben sei. Sie wäre ledig geblieben. Der
schwarze Tod hätte sie dahingerafft. Ihren 12-jährigen Sohn hätte der Bruder
von Ernestine ins Hessische geholt. Bald hatte der Fürst durch weitere
Nachforschungen erfahren, dass der Sohn als Forstläufer bei dem
Wallensteiner Grafen im Dienst stand. Es wurde ihm immer bewusster, dass
dieser junge Mensch das voreheliche Kind von ihm sei. Aus dem Grund, und
um völlige Gewissheit zu bekommen, hatte er sich zum Besuch nach
Neuenstein entschlossen. Nicht wenig erstaunt war der Wallensteiner, als er
den Landgrafen mit Gefolge sah. Es war ein fröhliches Wiedersehen zwischen
dem Fürsten und seinem Freund, dem Grafen. Beim üppigen Mittagsmahl
sagte der Landgraf, er wüsste im ganzen Land keinen Ritter, welcher so
streng, aber auch so gerecht das Recht (Blutgerichtsbarkeit) ausübe als sein
Freund, der Graf von Wallenstein.
Für den anderen Tag lud der Graf den Landgrafen und sein Gefolge zu einem
Ausflug in seine Wälder ein.
Heute aber, so erklärte der Graf, müsse er nach der Mittagsruhe ein hoch
notpeinliches Verhör durchführen. Es ginge bei dieser Sache um die
Missachtung und Verletzung der Standesehre eines hochadeligen Fräuleins
durch Liebschaft mit dem Forstläufer. Der Landgraf, durch die Erwähnung
eines Forstläufers aufmerksam geworden, äußerte die Bitte dem Gericht
beizuwohnen. Der Wallensteiner entgegnete, es freue ihn den obersten
Richter bei dem Verfahren dabei zu wissen.
Pünktlich, als die Burgglocke den 4. Schlag vernehmen ließ, wurde die
Verhandlung eröffnet. Der Landgraf war überrascht, als er den jungen
Menschen auf der Schuldbank neben dem adligen Fräulein erblickte. Der
Forstläufer schien sein Ebenbild zu sein. Zur Person befragt, sagte der
Angeschuldigte, er heiße Heinz Lüder und wäre in einem Dorf bei
Schmalkalden geboren. Seine Mutter sei schon 12 Jahre tot. Sie wäre ledigen
Standes gewesen. Wer sein Vater sei, könne er nicht sagen. Vor ihrem Tod
habe seine Mutter ihm lediglich gesagt, er wäre ein Falkner bei Hofe
gewesen. Ein kleines Kettlein mit einem Herz als Anhänger habe ihr der
Herr zum Abschied geschenkt.
Nun war dem Landgrafen die volle Gewissheit, dass sein eigen Blut vor
Gericht stand. Schon sprach der Adelsmarschall das Urteil: Da keine
standesgemäße Ebenbürtigkeit nachweisbar sei, könne nur der Tod von
einem der Beschuldigten die gerechte Sühne sein.
Der Forstläufer stand auf und sprach: „Ich nehme die Schuld auf mich!“ Thea
war ohnmächtig geworden. Da konnte der Landgraf nicht mehr an sich
halten. Er sagte, er müsse als zufällig anwesender Zeuge erklären, dass er die
Ebenbürtigkeit des Forstläufers kenne. Der Forstläufer heiße ab der Stunde
Heinz von Lüder. Wie er erfahren habe, hätte Heinz von Lüder treu und
gewissenhaft seinen Dienst versehen. Nun würde er das Kriegshandwerk
erlernen und später mit Thea in Ziegenhain wohnen.
Am nächsten Tag feierten Thea und Heinz ihren Verspruch an der Stelle, wo
Ernestine dem Falkner (Landgrafensohn) ihr Abendbrot, die Semmel,
gegeben hatte.
Die Geschichte des Berges gab Anlass ihn nach der Semmel zu benennen.
Noch heute heißt eine Straße in Raboldshausen, welche zum Semmelberg
führt, Semmelbergstraße.
Quellennachweis:
Aus dem Heimatkundlichen Heft 1 „Erzählungen und Sagen aus dem oberen und mittleren Geistal“
von Heinrich Stippich aus Neuenstein sowie „Die hessischen Ritterburgen und ihre Besitzer“ von G.
Landau, Band 2
Zwei Sagen vom Walpertsmännchen
Eine alte Rittersage vom Walpertsmännchen knüpft sich an den Namen des
stolzen nach der Burg benannten Geschlechtes, das auf Wallenstein und
später auf der benachbarten Burg Neuwallenstein (oder Neuenstein) lange
gewohnt hat und in dem edlen Simon von Wallenstein einst der Vehme einen,
um seiner unbeugsamen Gerechtigkeit willen von den Verbrechern
gefürchteten Freischöffen gab. Mit dem Walpertsmännchen aber hat es
folgende Bewandtnis. Ein Ritter von Buchenau hatte mit dem Ritter von
Wallenstein in einer fröhlichen Walpurgis-Gesellschaft auf Neuenstein, als
Mitternacht schon längst vorüber war, gewettet, dass es um sechs Uhr
morgens an dem bereits angebrochenen Tage zu Pferde auf der Fallbrücke
vor seiner Burg Buchenau sein wolle. Trotz der mehr als sechsstündigen
Entfernung und trotz der ungebahnten Wege gewann der Buchenauer die
Wette, und der Wallensteiner, sowie seine Nachkommen, mussten dem
Einsatze gemäß von da ab alljährlich in der Walpurgisnacht einen aus dem
Dorfe Salzberg stammenden Boten nach Buchenau senden. Der hatte
morgens um sechs Uhr auf der Fallbrücke des Buchenauer Schlosses sich
einzustellen und sechs Knaken (etwa 30 Pfg.) an den Burgherren pünktlich
zu entrichten, wogegen das Salzberger „Walpertsmännchen“ so lange mit
Speis und Trank verpflegt werden musste, bis es einschlief. Die guten Tage
der Walpertsmännchen haben längst aufgehört, und die alte Stammburg der
Wallensteiner liegt in Trümmern.
Bis Mitte des 19. Jahrhunderts bestand in Salzberg der Brauch, am 29. April
das Walpertsmännchen in Marsch zu setzten, damit es am Morgen des 30.
April, Punkt sechs Uhr, auf der Zugbrücke des Schlosses zu Buchenau sei.
Dort musste der Bote sechs Knacker (Knaken), jeder zu sechs Hellern,
überbringen, die als Anerkenntnisgebühr für die Eisenberger Wiesen zu
zahlen waren. Mit jeder Stunde, um die sich der Bote verspätete, verdoppelte
sich der Beitrag und wäre am Abend wohl kaum noch von Salzberg zu
leisten gewesen. Deshalb entsandte man jeweils zwei Boten, deren einer dann
im Dorfe Bodes zu warten hatte. Das Walpertsmännchen aber wurde mit
Musik, Kartenspiel und reichlichem Essen und Trinken während dreier Tage
unterhalten und bewirtet. Schlief es während dieser Zeit einmal ein, so
wurde es mit Schimpf und Schande aus Schloss Buchenau gejagt, hielt es aber
durch, ohne betrunken zu werden, dann mussten die Herren von Buchenau
dem Manne lebenslänglich Unterhalt gewähren. Man suchte deshalb aus der
Gemeinde nur solche Leute aus, die saßhaft und trunkfest genug waren, um
auch den stärksten Anforderungen im Schloss Buchenau gewachsen zu sein.
Durch die Ablösungsgesetzgebung des Jahres 1832 fiel auch dieser alte
Brauch dahin und das Dorf wurde mit einer einmaligen Zahlung
abgefunden. Das letzte Walpertsmännchen war der Maurer Peter Mendel,
der in den achtziger Jahren des 19ten Jahrhunderts noch als alter blinder
Greis in Salzberg lebte.
Über den Ursprung dieses eigenartigen Brauches, der natürlich während
seines Bestandes alle Dörfer auf dem Wege von Salzberg nach Buchenau und
auch die Stadt Hersfeld in Bewegung brachte, wenn das Walpertsmännchen
durchmarschierte, erzählt uns die Sage: Ein Fräulein von Buchenau soll einst
bei den Herren von Dörnberg auf Hausen zu Besuch geweilt haben und
verirrte sich auf der Heimreise auf dem Eisenberg. Dort wurde sie erkrankt
von Salzberger Bauern aufgefunden und im Dorfe bis zur völligen
Wiederherstellung gepflegt. Zum Danke dafür überließen die Herren von
Buchenau jene Eisenbergwiesen dem Dorfe, doch ließen sie sich, um ihre
Rechte als Obereigner daran zu wahren, jene kleine Gebühr überbringen.
Diese war dann nach der Sitte des Mittelalters, die manchen Rechtsbrauch
volkstümlich und wunderlich einzukleiden verstand, in die oben geschilderte
Form gebracht worden. Es muss aber, wenn man kritisch prüft, hinter jener
Sage noch ein geschichtlicher Vorgang stecken, der nicht ohne weiteres
klargestellt werden kann.
Quellennachweis: Wallensteiner Sagen aus „Die Herrschaft Wallenstein in der Reichsabtei Hersfeld“
von Dr. Ingo Grebe, Wallenstein